Echo #1: Kündigung nach Mutterschaft

Echo #1

Am ersten Tag nach Ende des Mutterschutzes erhielt ich die Kündigung. Mein Sohn war 16 Wochen alt. Aus Sicht meines CEOs sind Mutterschaft und eine Position in der Geschäftsleitung nicht vereinbar, das vorgelegte “private Betreuungskonzept” nicht überzeugend. Ich fiel aus allen Wolken ob dieser masslosen Ungerechtigkeit. Ich wehrte mich, und klagte gegen die diskriminierende Kündigung vor der Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland. Mit Erfolg, aber auch zu einem hohen Preis. Seitdem unterstütze ich andere diskriminierte Mütter mit einem Fonds aus meiner Entschädigung. Im Herbst 2025 habe ich das ECHO-Netzwerk gegründet, um mehr Wirkung zu erzeugen im Kampf gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz.

Rahmendaten

  • Unternehmensart: KMU

  • Branche: Energiewirtschaft / Energieversorgung

  • Position: Mitglied der Geschäftsleitung

  • Beginn / Ende Diskriminierungssituation: 2021 - 2022

  • Art der Diskriminierung: Diskriminierung aufgrund Mutterschaft, diskriminierende Kündigung direkt nach Mutterschutz

  • Ausgang: Klage vor der Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland nach Gleichstellungsgesetz, erfolgreiche Einigung mit Entschädigung

Der Vorfall: Kündigung nach Mutterschutz

Am ersten Tag nach Ende des Mutterschutzes erhielt ich die Kündigung. Mein Sohn war 16 Wochen alt. Aus Sicht meines CEOs waren meine Mutterschaft und eine Position in der Geschäftsleitung nicht vereinbar. Auch das von mir verlangte „private Betreuungskonzept“ hielt er für nicht überzeugend. Und überhaupt, die Zusammenarbeit sei in der letzten Zeit schwierig und belastet gewesen.

Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Mitglied der Geschäftsleitung bei einer regionalen Energieversorgerin im Berner Mittelland. Meine Arbeitsergebnisse waren gut, die Mitarbeitendengespräche stets sehr positiv. Doch ab dem Moment, als ich meine Schwangerschaft mitteilte und auf eine anteilige Krankschreibung aufgrund Komplikationen vorlegte, begann mein CEO, meine private Situation infrage zu stellen:

Wer würde sich denn um das Kind kümmern? Ob ich wirklich voll arbeiten wolle, wo doch mein Mann ebenfalls in einer Führungsposition berufstätig sei? Das sei doch nicht nötig. Ob ich mich nicht mehr um die Kinder kümmern wolle?

Er forderte, dass ich ein privates Betreuungskonzept vorlege, das ihn mit einer verbindlichen und verlässlichen Lösung überzeugen würde, dass ich meinen Job in der Geschäftsleitung trotz veränderter privater Situation erfüllen kann. Kleine Kinder würden schliesslich krank oder schlafen nachts schlecht, und in meiner Position müsse ich zuverlässig zur Verfügung stehen - es darf nicht zu Lasten der Stabilität gehen. Einzig mit einem Au-pair könne er sich das überhaupt vorstellen, und eigentlich auch nur im 60%-Pensum, im 60%/40%-Jobsharing-Modell. 60% sind das Maximale, was er sehen würde.

Die 60%-Variante wurde seitdem regelmässig durch meinen CEO ins Spiel gebracht. Auf meine Nachfrage, ob das nicht einer Zurückstufung gleichkomme, entgegnete er: Nein, Aufgaben und Verantwortung blieben ja gleich. Für mich klang das nach gleicher Arbeit in weniger Zeit – für weniger Lohn. Das stimmte nicht für mich, die Umsetzung wäre in meinen Augen nicht realisierbar. Ich lehnte daher ab.

Die Zusammenarbeit wurde im weiteren Verlauf des Jahres zunehmend schwieriger. Mein Chef und ich gerieten wegen Kleinigkeiten aneinander. Ich hatte das Gefühl, dass alles was von mir kam, für ihn nicht (mehr) stimmte. Die Konflikte nahmen zu. Trotz anteiliger Krankschreibung leitete ich weiterhin meinen Geschäftsbereich, bereitete meine Ausfallzeit vor und arbeitete einen Stellvertreter ein. Meinem Chef ging ich so gut es ging aus dem Weg - und er mir. Hilfestellung oder Entlastung erhielt ich in dieser Zeit keine. Wenige Wochen vor dem Geburtstermin schrieb mich mein Arzt vollständig krank. Es war Anfang Januar 2022. Die belastende Situation dauerte sechs Monate an, seit Bekanntgabe meiner Schwangerschaft im Juni 2021.

Für die Zeit nach der Geburt hatten wir vereinbart, dass ich zwei Monate unbezahlten Urlaub nehmen und dann mit vollem Pensum zurückkehren würde. Ich bekam mein Kind im Februar 2022. Als ich Anfang Juni 2022 zum vereinbarten Termin im Büro erschien, um den Wiedereinstieg zu besprechen, war neben meinem Chef auch der Personalchef anwesend. Dieser schaffte es nicht, mir in die Augen zu sehen. Ich spürte sofort, dass etwas nicht stimmte - und war fassungslos. Nach einer kurzen Begrüssung legte mein CEO mir die Kündigung vor, mitsamt zwei Varianten einer Aufhebungsvereinbarung. Genau 16 Wochen plus einen Tag nach Geburtstermin – der erste Tag, an dem eine Kündigung gesetzlich wieder möglich war.

Erste Reaktionen

Rechtliche Abklärung

Ich war sprachlos. Wütend. Wie gelähmt. Und fiel aus allen Wolken. Ja, die Zusammenarbeit war angespannt gewesen – aber ich hatte mich über Monate hinweg bis an meine Grenzen eingesetzt. Trotz des toxischen Arbeitsklimas hatte ich nicht vorgehabt, zu kündigen. Mit einem kleinen Baby einen neuen Job anzufangen, dafür hatte ich weder die Kraft noch die Nerven.

Meine erste Reaktion war Wut. Wut über diese offensichtliche Ungerechtigkeit. Ich kontaktierte einen Anwalt mit Schwerpunkt Arbeitsrecht – und ging mit einem ernüchternden Gefühl aus dem Gespräch. In der Schweiz gilt kein arbeitnehmerfreundlicher Kündigungsschutz, erklärte er mir. Jede Person könne jederzeit gekündigt werden. Er riet, ein Gespräch mit dem Verwaltungsratpräsidenten, dem Chef meines Chefs, zu fordern, vielleicht könne man noch eine höhere Abfindung aushandeln. Eine Klage nach Gleichstellungsgesetz vor der Schlichtungsbehörde hielt er für wenig zielführend aufgrund des hohen Aufwands, geringen Nutzens, und allgemein als für zu belastend für mich in der aktuellen Situation. “Wollen sie sich das wirklich antun?” - war seine Frage.

Das widersprach meinem Verständnis von Gerechtigkeit. Mir ging es nicht um etwaige finanzielle Abfindungen, sondern um Anerkennung der Ungerechtigkeit. Ich wollte nicht, dass Menschen wie mein Chef mit solchen offensichtlichen Ungerechtigkeiten durchkommen. In meinen Augen war die Kündigung klar diskriminierend - die Gründe in der Kündigungsbegründung an den Haaren herbeigezogen und leicht widerlegbar. Aber die Reaktion des Anwalts machte mir wenig Hoffnung. Enttäuscht, weiterhin wütend und zutiefst verunsichert, begann ich zu zweifeln, ob ich die Situation falsch einschätzte und mir mein eigenes Rechtsempfinden einen Streich spielte. Sollte ich es einfach auf sich beruhen lassen?

Kontakt zur Fachstelle für Gleichstellung

Die Situation liess mir keine Ruhe. Nach dem ernüchternden Gespräch mit Anwalt Nr. 1 wandte ich mich telefonisch an die Fachstelle für Gleichstellung des Kantons Bern. Dort erhielt ich eine fundierte, kostenlose Rechtsberatung. Zum ersten Mal hörte ich klar und deutlich: Das ist Diskriminierung.

Die Fachperson bestätigte, dass das Einfordern eines privaten Betreuungskonzepts und dann in Folge die Kündigung am Tag nach dem Mutterschutz eindeutig auf Diskriminierung nach Gleichstellungsgesetz hindeuten. Eine Klage vor der Schlichtungsbehörde hätte ihrer Einschätzung nach gute Erfolgschancen.

Dieser Moment war ein Wendepunkt. Es war das erste Mal, dass eine Fachperson meine Wahrnehmung bestätigte und die Sache rechtlich klar einordnete. Die Punkte deckten sich mit meinen Recherchen, und meinem Rechtsverständnis. Ich hatte wieder Mut und Energie, weiterzumachen.

Die Suche nach dem “richtigen” Rechtsbeistand

Ich wollte weiterhin Gerechtigkeit und spürte, dass ich dafür juristische Unterstützung brauchte. Leider durfte die Fachstelle für Gleichstellung keine Empfehlungen aussprechen. Nach mehrmaligem hartnäckigem Nachfassen erhielt ich immerhin Hinweise, wie und wo ich selbst suchen konnte.

Ich telefonierte unter anderem mit dem Verein Infra Bern – Beratung von Frauen für Frauen – und recherchierte gezielt im Internet. So stiess ich auf eine Anwältin, die sich für Gleichstellung einsetzte und sich in der Vergangenheit auch bei Infra Bern freiwillig engagiert hatte.

Ich kontaktierte sie – und hatte Glück. Obwohl sie eigentlich mehr als ausgelastet war, erklärte sie sich bereit, meinen Fall zu übernehmen. Anwältin Frau Can war selbst junge Mutter, ehrlich entrüstet über das Verhalten meines Vorgesetzten. Auch sie machte mir Mut, dass wir mit einer Klage gute Chancen hätten.

Ich hatte endlich das Gefühl, verstanden und ernst genommen zu werden. Neben der Fachstelle war dies die zweite echte Bestätigung meiner Wahrnehmung: Ja, das ist Diskriminierung. Und ich war bereit für die Eskalation.

Verlauf & Auseinandersetzung

Ankündigung der Diskriminierungsklage

Mit Rückendeckung durch meine Anwältin formulierte ich ein Schreiben an meinen Arbeitgeber, in dem ich ein klärendes Gespräch mit dem Verwaltungsratspräsidenten verlangte. Die nüchterne Antwort: Der Präsident sehe die Kündigung als rein operative Angelegenheit des CEO und wolle sich daher nicht einmischen. Damit war klar, dass ich von dort keine Unterstützung erwarten konnte. Somit blieb mir nur die weitere Eskalation in Form einer juristischen Auseinandersetzung.

Mittlerweile war es Mitte Juli 2022. Ich kündigte schriftlich an, eine Diskriminierungsklage nach Gleichstellungsgesetz einzureichen. Das löste sofort massiven Gegendruck aus. Mein Arbeitgeber versuchte, mich zur Unterzeichnung der Aufhebungsvereinbarung zu bewegen und eine Klage abzuwenden. Ich erhielt ein Schreiben, in dem mir vorgeworfen wurde, nach Ende des Mutterschutzes nicht zur Arbeit erschienen zu sein, mein Überzeitguthaben sei bereits aufgebraucht, und es liege kein formaler Urlaubsantrag vor. Man drohte rechtliche Schritte wegen Vertragsverletzung an, falls ich nicht unverzüglich zur Arbeit erscheine oder die Aufhebungsvereinbarung unterzeichne. Meine Antwort, dass wir zwei Monate unbezahlten Urlaub vereinbart hätten, wurde zurückgewiesen: Das sei nicht schriftlich festgehalten. Es gelte der Arbeitsvertrag. Man erwarte mein Erscheinen – am nächsten Tag.

Ich schaltete meine Anwältin dazwischen. Ich war dem Druck nicht mehr gewachsen. Ab diesem Zeitpunkt lief alles nur noch über sie. Rückblickend war entscheidend, dass ich ein ärztliches Attest über eine Arbeitsunfähigkeit vorweisen konnte. Damit war ich vorerst aus der Schusslinie.

In dieser Phase war meine Anwältin nicht nur Juristin, sondern auch mein Schutzschild. Sie hielt mich informiert, schirmte mich ab und baute mich mit viel Zuversicht und Empathie wieder auf. Gemeinsam bereiteten wir das Schlichtungsgesuch vor und reichten es ein. Einige Wochen später erhielten wir die Stellungnahme meines Arbeitgebers von der Schlichtungsbehörde zugestellt – und ich war erneut fassungslos.

Wie meine Anwältin es vorausgesagt hatte, konzentrierte sich die Verteidigung auf meine Person: Frontalangriff. Die Stellungnahme war voller unbelegter Vorwürfe. Mir wurden schlechte Arbeitsergebnisse und Fehlverhalten unterstellt. Demgegenüber standen meine Ende 2021 schriftlich bestätigten, grösstenteils übererfüllten Jahresziele, eine zugesagte Bonuszahlung und eine Gehaltserhöhung zum Jahresende. Diese Gegenbeweise konnten wir leider nicht anbringen, da in Schlichtungsverfahren keine Beweise erhoben, sondern das Vorbringen nur zur Kenntnis genommen wird.

Es machte mich sprachlos, wütend und verunsicherte mich erneut zutiefst. Ein kleiner Lichtblick war jedoch eine persönliche Karte des Personalchefs, meines Kollegen aus der Geschäftsleitung, in der er sein Bedauern ausdrückte, wie sich die Sache entwickle, und sehr wertschätzende Worte für unsere Zusammenarbeit fand. Sie erinnerte mich daran, dass nicht alle im Unternehmen das Vorgehen meines Chefs mittrugen - auch wenn sie sich nicht trauten, offen Partei zu ergreifen.

Die Schlichtungsverhandlung

Die Schlichtungsverhandlung fand am 19.10.2022 statt, nachmittags. Im Saal sassen die vorsitzende Richterin, vier Laienrichter:innen (zwei von Arbeitnehmer-, zwei von Arbeitgeberseite), die Gerichtsschreiberin, meine Anwältin und ich. Auf der Gegenseite waren der Anwalt meines Arbeitgebers und der Personalchef, der anstelle des CEOs geschickt worden war. Mein CEO selbst blieb der Verhandlung fern und entzog sich damit der direkten Konfrontation.

Schon mit dem ersten Satz machte die vorsitzende Richterin klar, worum es hier ging: „Heute verhandeln wir einen Diskriminierungsvorwurf nach Gleichstellungsgesetz, der auch wirklich hierher gehört.“ Allein dieser Einstieg war für mich eine grosse Erleichterung. Endlich ein offizielles Gremium, das meine Situation klar als Diskriminierung einordnete.

Der Ablauf war streng formal: Zuerst stellte die Richterin den Sachverhalt dar, dann erhielten die Anwälte das Wort. Nach den Argumentationen mussten meine Anwältin und ich den Raum verlassen, während das Schlichtungsgremium mit der Arbeitgeberseite sprach. Anschliessend war es umgekehrt. Das Gremium stellte uns im Einzelgespräch seine Einschätzung der Situation dar und erläuterte, unter welchen Voraussetzungen eine Klage vor Gericht Erfolg haben würde. Dann übermittelten sie uns ein Vergleichsangebot der Gegenseite. Wir stellten eine Gegenforderung. Dieses Hin und Her wiederholte sich mehrmals. Für mich fühlte es sich an wie zähe Verhandlungen auf einem Basar - es ging nicht um die Wahrheitsfindung, sondern ausschliesslich darum, den “Preis” zu verhandeln das Verfahren beizulegen.

Die Positionen:

  • Wir forderten die maximale Entschädigung nach Gleichstellungsgesetz: sechs Monatslöhne.

  • Die Gegenseite bot zunächst einen Monatslohn.

  • Nach zähem Hin und Her einigten wir uns auf drei Monatslöhne, den vollen Bonus – und für mich entscheidend: keine Verschwiegenheitsvereinbarung.

Die Gerichtsschreiberin verfasste nach beidseitiger Zustimmung noch während der Sitzung das Protokoll, das beide Seiten vor Ort unterzeichneten. Damit war die Sache offiziell abgeschlossen.

Für mich war es ein Erfolg - mit Beigeschmack. Ich hatte die Anerkennung der Schlichtungsbehörde, dass Diskriminierung vorlag. Und ich wertete die Zahlung von drei Monatslöhne plus Bonus als implizites Schuldeingeständnis meines Arbeitgebers. Meine Minimalziele waren erreicht. Aber: Vom schweizer Rechtssystem war ich enttäuscht. Es ging nicht um Recht oder Unrecht - sondern um einen Vergleich und die Abwendung eines Gerichtsverfahrens.

Öffentlichkeit und Medien

Mir war schon vor der Verhandlung klar: Das Urteil der Schlichtungsbehörde ist nicht das Ende. Ich wollte aufzeigen, wie verbreitet Diskriminierung von Müttern am Arbeitsplatz ist, und anderen Betroffenen Mut machen. Mit einem Teil des erstrittenen Geldes beschloss ich, einen Fonds aufzubauen, um andere junge Mütter beim juristischen Vorgehen zu unterstützen. Denn die hohen Anwaltskosten bei ungewissem Ausgang sind für viele eine grosse Hürde – in meinem Fall hatten sich bis dahin bereits rund 5'000 Franken angesammelt.

Über mein Umfeld kam ich in Kontakt mit einer Expertin im Bereich geschlechtsspezifische Gewalt, die in den Medien gut vernetzt war. Sie hörte mir zu, half mir, das Geschehen einzuordnen und machte mich mit wichtigen Konzepten wie Täter-Opfer-Umkehr und Gaslighting vertraut. Über sie wurde der Kontakt zu einer Journalistin einer grossen Tageszeitung hergestellt.

Schon am nächsten Tag meldete sich die Journalistin bei mir. Wir trafen uns, ich erzählte meine Geschichte und stellte im Nachgang Belege und Unterlagen zur Verfügung, die sie sorgfältig prüfte. Wenige Tage später erschien in einer grossen Tageszeitung eine ganzseitige Reportage unter dem Titel „Wenn der Arbeitgeber keine Mutter beschäftigen will“. Neben meiner persönlichen Geschichte enthielt der Artikel auch recherchierte Fakten zu Diskriminierung am Arbeitsplatz und stellte die gesellschaftliche Dimension in den Vordergrund.

Der Artikel schlug Wellen. Bereits am Folgetag griffen weitere Zeitungen die Geschichte auf, und sie gehörte zu den meistgelesenen Artikeln der Woche.

Die Reaktionen liessen nicht lange auf sich warten:

  • Menschen aus meinem Umfeld meldeten sich und drückten ihre Solidarität aus.

  • Andere Betroffene kontaktierten mich und schilderten ähnliche Erfahrungen.

  • Eine Nationalrätin schrieb mir persönlich, bedankte sich für meinen Mut und erklärte, dass mein Beispiel ihr helfe, einen parlamentarischen Vorstoss für besseren Schutz vor Diskriminierung zu formulieren.

Für mich war das überwältigend. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass meine persönliche Erfahrung Teil einer grösseren Bewegung wurde – und dass meine Stimme andere stärkte. Es war der Moment, in dem aus meiner individuellen Geschichte ein politisches Thema wurde.

Rückblick

Blicke ich heute, im Herbst 2025, zurück auf meine Geschichte, bin ich letztlich froh, dass alles so gekommen ist. Wäre ich nicht gekündigt worden, hätte ich weiter in diesem toxischen Arbeitsklima arbeiten müssen. Hätte ich nicht geklagt, hätte ich mir wahrscheinlich mein Leben lang Vorwürfe gemacht, nicht für mich eingestanden zu sein. Ich hätte verschiedene bereichernde Kontakte nicht geknüpft. Und ich wäre wahrscheinlich immer noch der Meinung, dass Frauen alles erreichen können, wenn sie sich nur genug anstrengen.

Ich bin mir bewusst, dass mein Weg privilegiert war. Ich hatte familiäre Unterstützung, finanzielle Sicherheit und ein breites Netzwerk, durch das ich innert kürzester Zeit ein neues Jobangebot erhielt. Diese Ressourcen haben mir geholfen, den juristischen Weg und den Gang an die Öffentlichkeit durchzustehen. Vielen anderen fehlen diese Voraussetzungen. Genau das motiviert mich, mich mit dem ECHO-Netzwerk weiter zu engagieren und Betroffenen, die nicht dieselben Ressourcen haben, Rückhalt zu geben.

Tipps & Learnings an andere Betroffene

Wahrnehmung schärfen

Diskriminierung zeigt sich oft nicht in einem klaren „Skandal“, sondern in subtilen, wiederholten Situationen, die zunehmend heftiger werden. Während ich mittendrin war in meiner „Geschichte“, habe ich vieles nicht als Diskriminierung erkannt. Ich spürte nur ein diffuses Unbehagen - etwas war falsch. Mein Learning: Bauchgefühl ernst nehmen – wenn sich etwas wiederholt falsch anfühlt, steckt meist mehr dahinter. Geschlechtsspezifische Diskriminierung lässt sich mit der Frage “Würde mir das so auch passieren, wenn ich ein Mann wäre?” entlarven.

Gesundheit priorisieren

Ich habe versucht, meinem Chef zu beweisen, dass meine Schwangerschaft und Mutterschaft meine Leistungsfähigkeit nicht einschränken - ihn in seinem Denken zu widerlegen. Dafür habe ich mich selbst überfordert, Nächte durchgegrübelt, meine Grenzen ignoriert und letztlich mich und mein ungeborenes Kind gefährdet. Heute weiss ich: Solche Diskriminierungssituationen sind nicht auf individueller Ebene lösbar. Unmöglich. Sie spiegeln tief verankerte gesellschaftliche Stereotype wider, wie etwa das weitverbreitete Denken: „Die Mutter gehört zu den Kindern. Sie übernimmt sich, wenn sie Kinder und Karriere will. Sie selbst versteht es noch nicht – daher muss man sie vor sich selbst schützen.“

Verbündete suchen

Eines der wichtigsten Dinge war für mich, zu merken: Ich bin nicht allein. Ich bin nicht das Problem. Das Gespräch mit der Fachstelle für Gleichstellung war ein erster Wendepunkt, ebenso der Kontakt zu meiner Anwältin und später die Gespräche mit Expert:innen und anderen Betroffenen. Plötzlich hatte ich Rückhalt. Und ganz wichtig: mein Bild im Kopf wechselte. Ich stand nicht mehr alleine da gegen meine übermächtige Firma mit allen Möglichkeiten. David gegen Goliath. Sondern: ich und viele Hunderte andere gegen meinen einen CEO, den Diskriminierer, der eigentlich isoliert und alleine ist. Jemand, der stereotypischen Rollenmodellen anhängt und sich nicht davon lösen kann. Mein Learning: Such dir frühzeitig Unterstützung, führe Gespräche mit Fachpersonen, anderen Betroffenen, Freunden. Saug die Energie auf, die dir das gibt. Das trägt, und heilt.

Dieses Erkennen, nicht alleine zu sein, ist übrigens mein persönlicher Schlüsselmoment, und auch der von vielen anderen Betroffenen. Genau das ist die Kernmotivation, das ECHO-Netzwerk zu gründen und möglichst viele Erfahungsberichte zu sammeln. Diese ECHOs sollen zeigen: Du bist nicht allein. Die Muster sind immer gleich und wiederholen sich. Dir geschieht eine Ungerechtigkeit. Und ganz wichtig: du bist nicht schuld daran.

Schriftlichkeit ist Macht

Ein Teil meiner Schwierigkeiten entstand dadurch, dass Vereinbarungen nur mündlich getroffen wurden. So wurde mein unbezahlter Urlaub im Nachhinein bestritten. Mein Learning: Alles sofort schriftlich festhalten – sei es durch Protokolle, Bestätigungen per E-Mail oder kurze schriftliche Vereinbarungen. Schriftlichkeit schafft Klarheit und ist im Streitfall Gold wert. Du kannst es beim HR einfordern - wichtig: dieses Einfordern stellt keine weitere Eskalationsstufe dar, sondern gehört zu sauberer Personalarbeit dazu.

Die richtige anwaltliche Begleitung

Ich bin rückblickend sehr froh, dass ich den Anwalt gewechselt habe. Mein erster Anwalt kannte das Gleichstellungsgesetz nicht (gut) und riet indirekt von einer Klage ab, Aufwand und Nutzen rechnen sich nicht. Es verunsicherte mich mehr, als dass es mir half. Viele Betroffene, mit denen ich später sprach, berichteten von ähnlich schlechten Erfahrungen bei der Anwaltssuche. Manche fanden niemanden, der sie juristisch begleiten wollte resp. Kapazitäten hatte. Eine Person erlebte sogar, dass ihre Anwältin ihr während einer informellen Verhandlung mit ihrem Arbeitgeber in den Rücken fiel. Sowas ist traumatisch, und es ist ein grosses Problem.

Wir möchten über das ECHO-Netzwerk eine Longlist von Anwält:innen und anderen Fachpersonen aufbauen, die Erfahrung und Engagement im Gleichstellungskontext aufweisen, sensibilisiert sind für Diskriminierungssituationen und voll auf der Seite der Betroffenen stehen.

Forderungen sauber vorbereiten

Im Schlichtungsgesuch hatte ich meine finanzielle Forderung nicht im Detail beziffert. Das Gleichstellungsgesetz sieht eine Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen vor. Aber: Was ist überhaupt der „Monatslohn“? Ist es ein Zwölftel des vertraglich fixierten Jahresgehalts inklusive variablen Anteil und etwaigen Prämien – oder der effektiv ausgezahlte Monatslohn, also oft 1/13 des Jahresfixgehalts inkl. Abzüge? Auch waren bei mir noch Boni aus dem Vorjahr offen, die wir leider nicht sauber ausgewiesen hatten im Schlichtungsgesuch. Mein Learning: Die Bemessungsgrundlage sollten schon im Schlichtungsgesuch klar ausgearbeitet sein. Denn die Verhandlung selbst läuft dann wie auf einem Basar – da ist keine Zeit für saubere Aufstellungen und Feinheiten im Detail. Und: Das unterzeichnete Schlichtungsprotokoll ist der Abschluss, im Nachgang ist es schwierig weitere Forderungen geltend zu machen.

Ärztliche Dokumentation frühzeitig einholen

Eine frühzeitige Konsultation von Hausarzt, Hausärztin ist wichtig, um Symptome wie stressbedingte Krankheiten, Schlafstörungen oder andere Belastungen zu dokumentieren, frühzeitig zu behandeln und dich im Härtefall auch krankzuschreiben. Ausserdem kann eine gute Dokumentation von Beschwerden im juristischen Streitfall entscheidend sein, um erlittenen Schaden nachweisen zu können. Ich hatte das leider versäumt und konnte „nur“ meinen Schaden durch Jobverlust geltend machen. Dieser wurde, weil ich zum Zeitpunkt der Schlichtungsverhandlung bereits einen neuen Arbeitsvertrag hatte, in meinem Fall nicht als hoch bewertet. So mussten wir uns trotz schwerwiegender, gut dokumentierter Verstösse gegen das Gleichstellungsgesetz am Ende auf eine eher geringe Entschädigung einlassen.

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Echo #2: Lohndiskriminierung